Die Geschichte spielt irgendwann im 21. Jahrhundert in einer Gesundheitsdiktatur, die für alle nur das Beste will. Aus Angst vor Infektionen verlassen die Menschen kaum noch und nur mit Mundschutz das Haus. Alle Krankheiten sind besiegbar und alle sind dafür verantwortlich, sich und andere gesund zu erhalten. Staatlich verordnete Gesundheitstests sind selbstverständlich und die Macht im Staat haben nicht mehr gewählte Politiker oder Parlamente, sondern Experten, diese Staatsmacht nennt sich die „Methode“. Staat und Medien sind gleichgeschaltet und die einzige Talkshow des Landes heißt „Was alle denken“. In diesem Land lebt die systemangepasste Mia Holl, die durch den Selbstmord ihres Bruders, der eines Verbrechens beschuldigt wird, das er nicht begangen hat, wider Willen zur Freiheitskämpferin wird. Moritz Holl war Zeit seines Lebens der Meinung, dass das Leben ein Angebot ist, das man auch ablehnen kann. Als Freidenker, Träumer, Spinner hat er im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen das System aufbegehrt. Seine Schwester sieht sich nach seinem Tod vor die Alternative gestellt: „Entweder ich verfluche ein System, zu dessen Methode es keine vernünftige Alternative gibt, oder ich verrate die Liebe zu meinem Bruder, an dessen Unschuld ich ebenso fest glaube, wie an meine Existenz“.

Julie Zeh hat diese bittere Parabel auf alle totalitären Systeme und das Zerrbild unserer möglichen Zukunft bereits vor 11 Jahren geschrieben. Der Roman zeigt verblüffende Parallelen zwischen der   Corona-Pandemie von heute und der Romanwelt von damals auf. Ein hochaktuelles Szenario widmet sich der Frage, zu welchem Preis eine demokratisch legitimierte Gesellschaft ihre Freiheitsrechte aufzugeben bereit ist. In unserer Welt stellt sich mir die Frage, in welche Richtung sich eine Gesellschaft angesichts der Gefahren einer Pandemie entwickelt. Eine allgemein gültige Antwort findet man bei Julie Zeh nicht, aber unserer Wirklichkeit erschien mir wie unter dem Mikroskop seziert. Ich fand die Geschichte ausgesprochen spannend, unterhaltend und geradezu verstörend aktuell. Ein Buch, das im Corona-Sommer zum Nachdenken anregt.

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